Dario Argento gilt gemeinhin als Meister des Giallo und ist der wohl bekannteste Vertreter des italienischen Thriller-Kinos der „good old days“, speziell der 70er-Jahre, als Genre-Produktionen vom Stiefel noch in aller Herren Länder reißenden Absatz finden. Nach dem gescheiterten Projekt THE SANDMAN erhoffen sich seine Fans vom Giallo DARK GLASSES in diesem Jahr ein Comeback des mittlerweile 81-jährigen Regisseurs.
- Früher Werdegang
- Eine Erfolgsgeschichte – Die Tier-Trilogie, die Farbe Rot und ein Hexenhaus
- Dario Argento und die Zombies
- Weiter auf Erfolgskurs in den 80ern
- Missglückter Versuch in Amerika Fuß zu fassen
- Zurück in der Erfolgsspur
- Abschluss der Mütter-Trilogie und kreativer Tiefpunkt
- Ein Comeback für den Altmeister des Giallo?
Früher Werdegang
Der Sohn des sizilianischen Filmproduzenten Salvatore Argento und des brasilianischen Fotomodels Elda Luxardo wird am 7. September 1940 in Rom geboren. Dario verlässt die Oberschule im zweiten Jahr und zieht für eine kurze Zeit nach Paris, wo er sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt. Zurück in Italien arbeitet er ab 1957 als Filmkritiker beim L’Araldo dello Spettacolo (zu deutsch: Der Herold des Showbiz) und der Abendzeitung Paese Sera (= Das Land am Abend).
In den 60er-Jahren wird er aktiv im Filmgeschäft tätig, schreibt zuerst Drehbücher für eine Reihe von Italo-Western und Kriegsfilmen, u.a. ist er an der Entwicklung der Story zu Sergio Leones weltbekannter Pferde-Oper SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD (1968) beteiligt. Von ihm stammen auch die Scripts zu HEUTE ICH… MORGEN DU (1968) und DIE FÜNF GEFÜRCHTETEN (1969), beide mit Bud Spencer.
Eine Erfolgsgeschichte – Die Tier-Trilogie, die Farbe Rot und ein Hexenhaus
1969 gründet er mit Vater Salvatore die Produktionsfirma S.E.D.A. Spettacoli und dreht seinen ersten, eigenen Spielfilm als Regisseur. Für DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE (1970), der in Deutschland in der (Bryan-)Edgar-Wallace-Reihe vermarktet wird, holt er die Slasher-Motive des Giallo aus der Bava’schen Gothik in die schillernde Moderne – er verbrachte als Kind sehr viel Zeit im Fotostudio seiner Mutter, das mit den grellen Hintergründen, den Spiegeln und den geschminkten Models großen Einfluss auf den optischen Stil seiner Filme gehabt hat – und kreuzt sie mit dem Psycho-Thriller, der anderen beliebten Ausrichtung des Giallo. Seine Filme dieses Genres spielen gerne mit dem Augenscheinlichen, das sich als unwahr entpuppt. Die Wahrheit ist währenddessen nur durch einen Wechsel der Perspektive zu entdecken. Es folgen die weiteren Genre-Arbeiten DIE NEUNSCHWÄNZIGE KATZE und VIER FLIEGEN AUF GRAUEM SAMT (beide 1971). Diese drei Filme bilden lose die sogenannte Tier-Trilogie.
Danach produziert er 1973 mit DOOR INTO DARKNESS eine vierteilige Giallo-Serie für den öffentlich-rechtlichen Sender Radiotelevisone Italiana, kurz Rai. Hier arbeitet er wieder mit seinem Freund Luigi Cozzi zusammen, der schon an der Story von VIER FLIEGEN… mitgewerkelt hat. Sein Ausflug im selben Jahr ins Fach der Commedia All’Italiana, der bürgerlichen Komödie, mit DIE HALUNKEN, in der Hauptrolle Adriano Celentano, erweist sich leider als Schlag ins Wasser. Er wendet sich wieder dem Giallo zu, und PROFONDO ROSSO (1975) mit David Hemmings wird einer seiner größten Erfolge. Für diesen Film engagiert er die Musiker der extra dafür ins Leben gerufenen Band Goblin, die in Folge Kult-Status unter den Fans des Italo-Kinos erlangt. Außerdem lernt Argento beim Casting seine langjährige Lebensgefährtin Daria Nicolodi kennen, die Mutter seiner Tochter Asia Argento. Zusammen mit Nicolodi schreibt er das Drehbuch zum Okkult-Horror SUPSIRIA (1977), der wieder ein großer Hit wird.
Dario Argento und die Zombies
Durch seinen Bruder Claudio Argento, selbst Filmproduzent wie ihr Vater, gelangt Dario an ein unfertiges Drehbuch von George Romero namens DAWN OF THE DEAD. Dem Amerikaner fällt es schwer, nicht zuletzt wegen einiger Flops, Investoren für die lose Fortsetzung seines ersten Zombiefilms NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968) zu finden. Zu dessen Bewunderern zählt auch Dario Argento und er lädt Romero zu sich nach Rom ein, wo der sein Script innerhalb von drei Wochen fertigstellt. Außerdem treibt er die für den Start des Drehs fehlenden 250.000 $ Budget auf. Während der eigentlichen Dreharbeiten tritt Argento aber nicht als Produzent auf und besucht das Set in der Monroeville Mall in den USA nur einmal. Dafür geht er zusammen mit Goblin ins Studio, um am Soundtrack von ZOMBIE zu arbeiten, von dem Romero am Ende für seinen Theatrical-Cut nur drei der zehn Stücke verwendet.
Für seine Hälfte des Budgets erhält der Italiener die Vertriebsrechte des Films für nicht-englischsprachigen Ländern, außer Lateinamerika. Er lässt sich dazu vertraglich zusichern, eine eigene Schnittfassung für diese Länder erstellen zu dürfen. Diese kommt schon im September 1978, fast ein halbes Jahr vor Romeros US-Theatrical-Cut, in die Kinos. Über den von Argento angefertigten Euro-Cut des Films äußert sich Romero nur insoweit, dass er es schade findet, dass von seinem Humor hier letztendlich nichts mehr übrig geblieben ist. Dennoch verliert er nie ein schlechtes Wort über diese Fassung, bleibt immer professionell und diplomatisch. 2016 präsentiert Dario Argento dann auf der Biennale in Venedig zusammen mit Nicolas Winding Refn die neue 4K-Restauration des Klassikers.
Weiter auf Erfolgskurs in den 80ern
Nach der Arbeit an ZOMBIE (1978) wendet er sich der Fortsetzung seines Hits SUSPIRIA zu. Insgesamt sollen es drei Filme um drei Hexenhäuser werden. Nachdem SUPSIRIA in einer Tanzschule in Freiburg spielt, ist es in INFERNO (1980) ein Appartementhaus in New York. Von dort aus strebt eine alte, mächtige Hexe die Herrschaft über die Menschheit an. Der von 20th Century Fox mitfinanzierte Film erfährt aufgrund eines Wechsels in deren Management nie eine große Auswertung in den US-Kinos. Die Produktion des dritten angedachte Films um die Hexe Mater Tenebrarum wird immer wieder verschoben. Es soll am Ende noch 27 Jahre dauern, bis er dann doch endlich realisiert wird.
In seinem nächsten Film, dem Giallo TENEBRAE (1982) – viele Fans gehen seinerzeit des Namens wegen irrtümlicherweise davon aus, es wäre der finale Teil der Mütter-Trilogie – weicht das farbenfrohe Art-Deco-Design der früheren Filme einem kalten, funktionalen Stils und trägt so dem neuen Jahrzehnt Rechnung. Der blutrünstige Thriller mit John Saxon ist der erste Film des Regisseurs, der in seinem Heimatland nur eine Freigabe ab 18 Jahren erhält. In Deutschland ist der Film bis heute beschlagnahmt. PHENOMENA (1985), mit der jungen Jennifer Connelly ,geht wieder etwas mehr in die Richtung des Fantastischen Films. Das von Connelly gespielte Mädchen verfügt über telepathische Fähigkeiten, das Finale des Films selbst über eine recht abstruse Auflösung, in der ein Schimpanse eine tragende Rolle spielt.
Dario Argento präsentiert und produziert
1985/86 schreibt und produziert Dario Argento die beiden DANCE OF THE DEMONS Filme von Lamberto Bava. Hier in Deutschland werden sie in verkehrter Reihenfolge als DÄMONEN 1+2 auf den Markt gebracht. 1987 die 15-teilige produziert er die TV-Serie TURNO DI NOTTE – er selbst dreht dafür 15 drei-minütige Appetizer, die vor den eigentlichen, auch nur 15 Minuten kurzen Folgen, die von Lamberto Bava und Luigi Cozzi stammen, gezeigt werden. Seinem Bewunderer Michele Soavi, der bei Aristide Massachesi aka Joe D’Amato das Filmhandwerk erlernte, verhilft er als Produzent und Drehbuchautor mit THE CHURCH (1989) und THE SECT (1991) zur Regie bei zwei größeren Genre-Produktionen.
Missglückter Versuch, in den USA Fuß zu fassen
Bei OPERA (1987) kann Dario Argento selber wieder aus dem Vollen schöpfen, da amerikanisches Geld mit im Spiel ist. Orion Pictures hat den Film schon im Vorfeld für den US-Markt eingekauft, doch in die dortigen Kinos kommt er wegen der anhaltenden finanziellen Schwierigkeiten des Verleihs erst 1991. Argento verarbeitet hier eigene Erfahrungen mit einer nie zur Aufführung gekommenen Inszenierung von Verdis MacBeth. Er kreiert mit DoP Ronnie Taylor einige schwindelerregende Kamerafahrten durch die beeindruckenden Kulissen der Oper. Dies stellt seine auf lange ZEit letzte Zusammenarbeit mit Daria Nicolodi, da beide schon seit geraumer Zeit getrennte Wege gehen. In Deutschland wird OPERA gleich auf VHS veröffentlicht, um insgesamt 25 Minuten für eine Freigabe gekürzt.
Eingedampfte Horror-Anthology
1989 tut sich Dario Argento dann erneut mit seinem amerikanischen Kollegen George Romero zusammen. Sie drehen gemeinsam den Episodenfilm TWO EVIL EYES. Romero steckt in einem Karrieretief, denn mit DER AFFE IM MENSCHEN (1988) ist sein erster Major-Release gerade erst gefloppt. Zudem ist die erfolgreiche Horror-Anthologie GESCHICHTEN AUS DER SCHATTENWELT (1983-88) inzwischen eingestellt worden. Je nachdem, welcher Quelle man Glauben schenken möchte, soll der Episodenfilm mit einem Horror-Allstar-Viergespann aus Argento selbst, George Romero, John Carpenter und Wes Craven realisiert werden. Doch letztere verlassen das Projekt, weswegen Argento es mit Romero allein realisiert. Eine andere Version besagt, dass Argento eine vierteilige TV-Mini-Serie mit den Kurzgeschichten Poes plant. Deren Piloten „The Facts in the Case of Mr. Valdemare“ soll Romero inszenieren, für Argento sei „The Black Cat“ vorgesehen gewesen, während Michele Soavi „The Masque of the Red Death“ und der Brite Richard Stanley „The Cask of Amontillo“ beisteuern sollen.
Egal ob und was davon jetzt stimmt, letztendlich landet das Projekt bei ADC Films. Dario und Claudio Argento produzieren die Kooperation der beiden Horror-Meister, die die Episoden in Romeros Heimatstadt Pittsburgh drehen. Die Hauprollen übernehmen jeweils Adrienne Barbeau, Ex-Frau von John Carpenter, bei Romero und Harvey Keitel bei Argento, die blutigen Effekte stammen von Tom Savini. Doch die 9 Mio $ teure Produktion gerät wiederum zum Flop, auch weil der US-Distributor Taurus den Film, dank des verschobenen US-Starts von OPERA und Romeros Flop mit DER AFFE IM MENSCHEN, erst 1991 und nur in wenigen Kinos unterbringt.
Ein amerikanischer Giallo-Slasher
Seinen schlechten Erfahrungen zum Trotz, unternimmt Dario Argento einen dritten Anlauf, auf dem US-Markt Fuß zu fassen. Mit italienischen Geld finanziert, dreht er 1992 in Minnesota den Giallo-Slasher AURA, komplett in Englisch. Neben seiner damals gerade 17-jährigen Tochter Asia in der Titelrolle ist der Film mit amerikanischen Schauspielern besetzt, darunter Piper Laurie, James Russo und Brad Dourif in Nebenrollen. Die Effekte stammen abermals von Tom Savini. Der Film muss nach den Wünschen des amerikanischen Vertriebs umgeschnitten, der Goblin Score durch einen orchestralen ersetzt werden. Als der Film 1993 auf den Markt kam, sitzt er trotzdem zwischen allen Stühlen, da sich das Genre Stalk’n’Slash gerade auf dem Tiefpunkt befindet und das amerikanische Publikum mit Argentos ernsthafter Herangehensweise schlichtweg nichts anfangen kann.
Zurück in der Erfolgsspur
Erst mit DAS STENDHAL SYNDROME (1996) findet der Regisseur wieder in die Erfolgsspur zurück. Der Film, in dem wieder seine Tochter Asia die Hauptrolle spielt – die vorgesehene Bridget Fonda springt bei Produktionsbeginn ab –, wird sein größter Erfolg in seiner Heimat Italien. Er wird sogar in die Vereinigten Staaten verkauft, wo Miramax ihn auf einen Limited Run schickt. Im Anschluss schreibt Argento das Script zu WAX MASK (1997). Eigentlich soll Lucio Fulci den Horrfilm inszenieren, verstirbt dann aber überraschend , weswegen Argento den Posten seinen Effektmann Sergio Stivaletti anvertraut, der damit sein Debüt auf dem Regiestuhl gibt.
Mit DAS PHANTOM DER OPER (1998) widmet er sich einer Thematik, die er schon in seinem opulenten OPERA (1987) aufbereitet hat. Dieses Mal aber auf Grundlage einer argentinischen Mini-Serie von 1960. Die Titelrolle geht an Julian Sands, das Objekt seiner Begierde, wie sollte es anders sein, Tochter Asia Argento. Die aufwändige, aber recht krude anmutende Mischung aus Sittengemälde und Slasher fällt bei den Kritikern durch und entwickelt sich zum Flop. 2000 produziert er den ersten Spielfilm von Asia als Regisseurin, die auch selbst die Hauptrolle übernimmt. Das autobiographisch gefärbte und komplett mit einer Digitalkamera gedrehte Werk wird von den Kritikern, gerade in den USA, sehr positiv aufgenommen.
Dario Argento selbst kehrt mit SLEEPLESS (2001) wieder zu dem Genre zurück, dass ihn einst berühmt machte, dem Giallo. Mit Musik der reanimierten Goblin und Max von Sydow in der Hauptrolle gelingt ihm damit wieder ein Hit. Der darauf folgende THE CARD PLAYER (2004) kann sich am Box Office zwar behaupten, von der Kritik aber wird der Film recht einhellig verrissen. 2005 dreht er für das italienische Fernsehen den Thriller DO YOU LIKE HITCHCOCK, für die amerikanische Anthologie-Serie MASTERS OF HORROR von HBO steuert er die Episoden JENIFER (2005) und PELTS (2006) bei.
Abschluss der Mütter-Trilogie und kreativer Tiefpunkt
2007 gelingt es ihm mit Ach und Krach ein Wunschprojekt zu finanzieren, auf das die Fans schon seit Jahren warten; am 6. September des Jahres feiert MOTHER OF TEARS, der finale Teil der Mütter-Trilogie, seine Weltpremiere auf dem Toronto International Film Festival. Doch der im Vergleich zu seinen Vorgängern knapp budgetierte Film kann die Erwartungen des Publikums nicht erfüllen, genauso die hoch gesteckten Ziele am Box Office; der Film wird zum Flop.
Die Erwartungshaltung an seinen Film GIALLO (2009) ist dann weit niedriger. Doch sorgt der neueste Streich des Meisters schon wegen Problemen hinter den Kulissen für schlechte Presse. Ray Liotta verlässt das Projekt aufgrund einer beendeten Liaison mit Asia Argento. Deswegen übernimmt Adrien Brody, der den Film aus eigener Taschen mitfinanziert, gleich zwei Rollen. Das Endprodukt scheitert schließlich in allen Belangen, wird für den einst gefeierten Regisseur zum künstlerischen wie finanziellen Fiasko. Für seine in 3D gefilmte Version von DRACULA (2012) erntet er von den meisten Seiten nur mehr Hohn und Spott. Dafür verwirklicht er sich 2015 einen lang gehegten Traum und inszeniert Verdis Oper MAC BETH.
Ein Comeback für den Altmeister des Giallo?
2014 angekündigt, liegt das Horrorprojekt THE SANDMAN mit Iggy Pop erst einmal auf Eis, gilt sogar als gescheitert. Ein schwerer Schlag für den italienischen Kult-Regisseur, der dadurch einiges an Glaubwürdigkeit bei seinen Fans verliert. Zu unrecht, denn für die Finanzierung des Films durch Crowdfunding sind die Produzenten verantwortlich. 2018 erscheint ein Remake seines Meisterwerks SUSPIRIA mit Dakota Johnson und Chloe Grace Moritz als internationale Koproduktion. Um Argento selbst ist es lange Zeit still, bis Gerüchte über einen Film oder eine Mini-Serie für einen Streaminganbieter machen die Runde. Die Ankündigung des neuen Giallo DARK GLASSES lässt seine alten Fans aufhorchen. Der Film feiert bei der Berlinale 2022 seine Weltpremiere und einige euphorische Reviews lassen auf ein gelungenes Comeback hoffen. Vielleicht gelingt es dem Meister im Anschluss zu alter Stärke zurückzufinden. Oder damit zumindest einen annehmbaren Abschluss seiner ins Straucheln geratenen Karriere zu schaffen. Zu wünschen wäre es ihm…