Vergessene Klassiker des Italian Gothic

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Vergessene Klassiker, vergessene Geschichte. Hin und wieder kommt es ja mal vor, dass etwas verloren geht. Eine Notiz, ein Schlüssel, ein Buch, einmal aus den Augen gelassen, vielleicht unachtsam mit dem Müll entsorgt, und weg ist es. Gerade Sachen, die für uns nicht alltäglich sind, gehen immer mal wieder verloren. Manches davon befindet sich sowieso im Vorruhestand, andere Dinge werden schmerzlichst vermisst, wenn sie nicht wieder auftauchen. Und es ist allenthalber ärgerlich. Nur leider trifft dieses Phänomen nicht nur auf schnöden Kleinbesitz zu. Nein, manchmal trifft es sogar Kulturgut, einen ganzen Film, der spurlos und auf Nimmerwiedersehen von der Bildfläche verschwindet.

Ein Film verschwindet

Die beschriebene Situation stellt natürlich nur den Extremfall dar. Mir fällt kein Film aus dem Bereich des Italian Gothic ein, der komplett verschwunden ist. Oder ich habe ihn schon vergessen, vielleicht nie kennen gelernt? Wer weiß das schon? Vor 25 Jahren sah das ohnehin noch ganz anders aus. Die Kommunikation war schwieriger, der Markt unübersichtlicher. Von vielen Filmen hatte man gehört, wusste aber nicht, ob es noch mehr als eine abgenudelte Raubkopie davon gab. Mit dem digitalen Zeitalter wurden dann plötzlich wieder viele Filme aus der Versenkung gekramt, die man tatsächlich längst verschollen glaubte. Auch heute geschehen noch Zeichen und Wunder, es werden Filmrollen zu Klassikern wie Metropolis (in Argentinien) oder Dracula (in Japan) entdeckt. Halt an Orten, wo man wahrscheinlich nicht als erstes suchen würde. Und wer weiß, vielleicht schlummern in irgendwelchen privaten Archiven wirklich noch Kuriositäten wie die legendäre Sägeszene aus Bruce Lees Die Todesfaust des Cheng Li?

Die Filme, um die es heute geht, sind noch nicht aus der Wahrnehmung verschwunden. Aber in Zeiten des Internets, das bekanntlich nie etwas vergisst, ist es nicht leicht zu bestimmen, wann etwas aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden ist. Reichen ein paar Google-Treffer um zu sagen, das ist ja noch da? Was ist, wenn irgendwann niemand mehr danach sucht? Und wenn man etwas zum Film lesen kann, ihn aber nicht mehr sehen? Wenn er auf keinem Wege mehr erhältich ist? Das sind Fragen, mit denen man sich in den Zeiten des Streamings und den damit einhergehenden schleichenden Tod physischer Datenträger stellen muss. Was wird sein, wenn das letzte VHS-Band sich aufgelöst hat, die Schicht von der DVD brökelt, keine Filmrolle mehr auffindbar ist und sich weder Amazon, Netflix oder sonstwer erbarmt hat, den Film auf seine Server-Kapazitäten zu laden?

Vergessene Klassiker: hier Dark Waters
Dark Waters huldigt erkennbar großen Vorbildern © Wicked Vision

Vergessene Klassiker, die wieder aufgetaucht sind

Malen wir nicht gleich den Teufel an die Wand. Lassen wir ihn lieber durch die Gewölbe eines Klosters schreiten, irgendwo auf einer kleinen Insel an der russischen Küste. Dark Waters, eine britisch-russische Koproduktion unter der Regie des Italieners Mariano Baino, war einer der späten Ausläufer der Italian Gothic. Der schön altmodische Streifen schwelgt in lovecraft’schen Motiven, überzeugt mit einer durchaus an Bava oder Argento gemahnende Fotografie, die die zerfallenden Mauern des Klosters passend einfangen. Er hat es seinerzeit, Anfang der 90er, nicht in deutschen Videotheken und erst recht nicht Kinos geschafft. Gut ein Vierteljahrhundert später erscheint der Film dennoch, ist sogar kurz auf der großen Leinwand zu bewundern. Es ist ein Glücksfall, dass eben Labels wie Wicked Media gerne mal eine solche Perle ausgraben und dem deutschen Fan in Deluxe-Ausführung darreichen. Die Regel ist das leider nicht.

Vergessene Klassiker, die nie in Deutschland erschienen sind

Nehmen wir nun ein paar Beispiele, wo nur wir Deutschen bisher darauf verzichten mussten, einen Film hier im Geschäft als einheimische Veröffentlichung kaufen zu können. Ich hatte ja diese Woche schon über die Gothic-Ikone Barbara Steele gesprochen. Viele ihrer Filme haben es nämlich nicht nach Deutschland geschafft. Das ist nicht nur schade, sondern in dem ein oder anderen Fall sogar geradezu frevelhaft. Gehört etwa ein Film wie The She-Beast/Il lago die Satana von Michael Reeves eher zu den Außenseitern, so zählt Castle of Blood/La danza macabra definitiv zu den Klassikern des Genres. Der in Schwarz-Weiß fotografierte Film bietet Horrorfans eine ausgesprochen stilvolle und zutiefst unheimliche Geistergeschichte um Liebende, die eine Tragödie immer wieder durchleben müssen. Es gibt inzwischen sogar eine Blu-ray von dem Film, in den Regalen deutscher Händler sucht man ihn allerdings vergebens.

Vergessene Klassiker: hier Castle of Blood
Unheimlich und verführerisch gibt sich Barbara Steele in Castle of Blood © Synapse Films

Weitere Steele-Filme, die ich noch vermisse, sind The Long Hair of Death/I lunghi capelli della morte, The Ghost/Lo spettro, Nightmare Castle/Amanti d’Oltretomba und natürlich Terror-Creatures from the Grave/5 Tombe per un Medium. Was Barbara Steele angeht, hat Deutschland noch einiges an Nachholbedarf. Ich wünschte mir auch Releases von Gorgio Ferronis Night of the Devils/La notte dei diavoli, Riccardo Fredas Tragic Ceremony/Estratto dagli archivi segreti della polizia di una capitale europea oder The Devil’s Nightmare/La terrificante notte del demonio mit Erika Blanc. Aber ich gebe mich hier keiner Illusionen hin. Die meisten der Filme werden wahrscheinlich nie in Deutschland erscheinen. Zumindest sind viele davon ohne Probleme per Import zu haben, füllen teils schon meine Regale.

Vergessene Klassiker, die es nur auf VHS gibt

Wenn wir jetzt zur VHS kommen, begebe ich mich auf dünnes Eis. Zum einen werde ich mich in den nächsten beiden Absätzen zu der ein oder anderen Mutmaßung hinreißen lassen. Zum anderen ist Diskussion darüber, ob das alte Medium noch dazu geeignet ist, Filme zu archivieren, teils auch eine Glaubensfrage. Verfechter werden nie auf die damit verbundene Nostalgie verzichten wollen. Tatsächlich hat die VHS gewiss selbst die meisten ihrer Apologeten überrascht ob ihrer Langlebigkeit. Aber es ist trotzdem klar, dass von den derzeitigen Medien das Band der VHS das anfälligste ist. Wohl dem, der schon die wichtigsten davon digitalisiert hat. Denn irgendwann wird es auch kaum noch Abspielgeräte dafür geben. Dann sind die Bänder nutzlos, egal wie lange sie noch halten mögen.

Vergessene Klassiker: hier Spider Labyrinth
Das Vorbild hierfür ist für Fans nur schwerlich übersehbar: Bavaeskes in Spider Labyrinth © IRIS

Trotzdem gibt es immer noch Filme, die bisher einzig, und das nicht nur in Deutschland, auf VHS erschienen sind. Exemplarisch führe ich hier einmal Spider Labyrinth/Il nido del ragno an. Ein Film, der in Liebhaber-Kreisen einen durchaus guten Ruf genießt. Die deutsche VHS ist ungeschnitten und im Originalformat, aber inzwischen schon recht selten. Es gibt eine DVD aus den Staaten, die aber scheinbar eben von einer digitalisierten VHS gemastert wurde. So etwas hält heutigen Ansprüchen kaum stand, zumal die Bänder mit der Zeit auch nicht besser werden. In Foren lese ich immer wieder, dass eine digitale Veröffentlichung mehr als unwahrscheinlich sei, weil Negative und Filmrollen nicht mehr auffindbar wären. Wer weiß, es könnten auch irgendwelche Sammler darauf hocken, oder sie modern in einer Lagerhalle oder Keller vor sich hin. Vielleicht liegt es auch nur am Lizenzgeber.

Was sagt uns das?

Es gibt keine Garantie darauf, dass Filme, die wir für selbstverständlich erachten, für immer da sein werden. Ein großer Teil der Filmbibliotheken wird irgendwann in den Online-Archiven der Streaming-Dienste aufgehen. Und was dann dort wissentlich gelöscht wird oder durch einen unvorsehbaren Fehler, eine Katastrophe vielleicht, könnte unwiderbringlich verloren sein. Es könnte bei manchen Filmen nur eine Frage von ein oder zwei Jahrzehnten, oder auch weniger Jahre sein. Heute liest man noch von ihnen, weiß um sie als Rarität. Dann sucht man vergeblich, und irgendwann stellt man fest, dass es sie scheinbar nicht mehr gibt – von den Archiven manch gut aufgestellter Sammler mal abgesehen.

Also sollten wir uns an den Filmen erfreuen, solange sie so einfach verfügbar sind. Wir sollten nach Raritäten jagen, bevor sie sich verflüchtigen wie der Wüstensand im Wind. Vergessene Klassiker werden immer mehr. Für manchen ist es ein Hobby, für manchen ein Leben. Aber mehr oder minder sind sie alle Kulturgut, Ausdruck ihrer Macher, Stars und natürlich ihrer Zeit. Und jedes Mal, wenn ein Film im Nirvana verschwindet, bricht ein Teil aus dem Puzzle, das wir Geschichte nennen. Und sei es noch so klein, Stück für Stück bekommt das Bild Risse, bis nichts mehr richtig zu erkennen ist…

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